Jeder von uns produziert am Tag Unmengen von Abwasser, das einfach abfließt. Jeremias Polster und Felix Konstantin Drechsel nutzen das Grauwasser für die Wärmerückgewinnung in Wohngebäuden. Im Interview sprechen wir mit den Gründern der Revincus GmbH über Ihre Erfindung und das Pilotprojekt in Stadtroda.
Sie haben gerade ein Großprojekt in Stadtroda, wo ihr System in einem typischen DDR-Plattenbau zum Einsatz kommt. Wie gewinnen Sie aus Abwasser Energie?
Jeremias Polster: Wir sind Teil einer aufwändigen Mustersanierung und bei diesem großen Projekt werden 14 Abwasser-Wärmetauscher und 24 Abwasserweichen von uns verbaut.
Felix Konstantin Drechsel: Angefangen hat alles mit einer Studie, in der es darum ging, den WBS70 Wohnblock so CO2-neutral wie möglich zu bekommen. Unsere Technologien können einen großen Teil dazu beitragen. Das Projekt in Stadtroda stellt somit ein Muster für kommende Sanierungen für diese Wohnblock-Typen zur Verfügung. Davon haben wir in Ostdeutschland etwa zwei Millionen Wohneinheiten.
Was funktioniert Ihre Erfindung?
Jeremias Polster: Mit dem revincus-System haben wir ein neuartiges Verfahren für die Abwasserwärmerückgewinnung im Wohnungsbau entwickelt. Der gleichnamige Wärmetauscher analysiert die unterschiedlichen Temperaturen im sogenannten Grauwasser, schichtet diese vorgefiltert in verschiedene Temperaturzonen ein und speichert das Energiepotenzial im System. Über mehrere Wärmetauscher wird die im Abwasser enthaltene Wärmeenergie dann auf ein flüssiges Medium (wie das Heizungsmedium) übertragen und dem Haushalt wieder zur Verfügung gestellt. In Bestandsgebäuden gibt es allerdings im Regelfall nur ein Abwasserrohr. Dabei wird nicht zwischen dem fäkalbeschmutzten Schwarzwasser, also all dem, was von der Toilette gespült wird und dem energetisch nutzbaren Grauwasser aus der Wasch- und Spülmaschine, Dusche oder Badewanne unterschieden. Das aber genau trägt die Wärmeenergie in sich, die wir wieder auffangen und rückführen wollen. Um unsere Wärmetauscher in Bestandsgebäude nachträglich integrieren zu können, haben wir die Abwasserweiche entwickelt. Diese wird im bestehenden Strang eingesetzt und splittet fortlaufend in eine Schwarz- und Grauwasserleitung auf. Über Drucksensoren in den Spülkästen der Toiletten wird dann ein Signal ausgelöst, wodurch die Abwasserweiche erkennt, dass Schwarzwasser anfällt, und die Weiche leitet das anfallende Abwasser in die Kanalisation. Andernfalls befindet sich die Abwasserweiche in der Grauwasserposition und leitet das energetisch verwertbare Grauwasser weiter zu unseren Wärmetauschern. Wir produzieren alle jeden Tag Unmengen von Abwasser, welches einfach abfließt. Hier setzen Sie an und sagen, dass Sie dort die Wärme rausholen wollen. In welchem Umfang?
Felix Konstantin Drechsel: Bei dem täglichen Anfall von Grauwasser arbeitet unser System mit den Stoßzeiten, also morgens und abends. Wir fangen erst einmal die Hälfte, was an einem Tag anfällt, in einem Tank auf, das sind dann circa 35 Liter pro Kopf. Das speichern wir und schichten es nach Temperatur ein. Damit können wir das Trink- oder Heizungswasser dann wieder vorwärmen. Wir haben also eine „Vorerwärm“-Stufe für die Trinkwassererwärmung geschaffen. Das Ganze wird im besten Fall auch noch mit einer Wärmepumpe kombiniert. Und damit können wir dann den größten Teil des nutzbaren Energiepotentials im Abwasser wiederverwerten. Wir geben es dann im besten Fall mit fünf Grad in die Kanalisation zurück – also sogar kälter, als es in das Haus reingeflossen ist.
Es unterstützt somit die Trinkwasser-Erwärmung. Das wird immer attraktiver, je größer das Gebäude ist. In Stadtroda haben wir 160 Megawattstunden im Jahr, die man zurückgewinnen kann. Das wären dann 30–40 Tonnen CO2, die eingespart werden können, je nachdem wie das Gebäude geheizt wird. Wenn man aktuell mit den neuen Gaspreisen rechnet, dann spart man im gesamtem Block über 40.000 Euro an Energiekosten jährlich.
Wann rechnet sich Ihr System?
Felix Konstantin Drechsel: Amortisieren wird sich unsere Anlage in zehn Jahren. Da haben wir allerdings noch mit den Energiepreisen aus dem Jahr 2021 gerechnet. Wenn wir jetzt die aktuellen Energiepreise in Betracht ziehen, verkürzt sich die Zeit deutlich.
Ihr System könnte aber sicher nicht nur in Plattenbauten eingesetzt werden, oder?
Felix Konstantin Drechsel: Genau. Wir haben jetzt mehrere Pilotprojekte, darunter auch Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser und eben diese großen Wohnblocks. Da kann man jetzt auch absehen, welche Amortisierungszeiten an dem jeweiligen Gebäudetyp realisierbar sind.
Jeremias Polster: Das ist eben immer ein ausschlaggebender Punkt für Bauherren und Projektentwickler. Wenn es nur darum geht, unsere Anlage nachzurüsten, dann ist eine Kernsanierung oder Strangsanierung eben eine riesige Maßnahme. Und wenn man eben nicht strangsanieren möchte, dann ist der Einsatz unserer Abwasserweiche eine kostengünstige Alternative, um im Gebäudebestand nachzurüsten. Das Gesamtsystem soll auch langfristig mit einer App verbunden werden, wo man dann alle Werte der Anlage einsehen kann. Zum Beispiel kann man dann sehen, wie viel Energie man noch im System hat und ob es sich gerade lohnt, noch eine Waschmaschine anzuschmeißen.
Wie kommt man auf solche Idee und sich damit auch noch selbständig zu machen, inmitten einer Pandemie?
Felix Konstantin Drechsel: Die ursprüngliche Idee kam mir in Finnland. Dort war ich nach dem Abitur und habe ein Praktikum als Klempner gemacht. Ich habe dabei geholfen Wärmepumpenanlagen aufzubauen und in Norwegen wurde auch viel mit Luftwärmerückgewinnung gearbeitet. Da hat sich mir dann die Frage gestellt, warum wir nicht das Abwasser nutzen, weil es doch ein viel besserer Energiespeicher ist. Man kann das Wasser in einem Tank abspeichern und anschließend nutzen, wenn man es braucht. Bei Luft ist das ganz anders, da sie eine schlechte Wärme-Speicherkapazität hat und sie muss dann genutzt werden, wenn sie anfällt. So kam die Grundidee.
In Weimar habe ich dann das Bauingenieursstudium angefangen und Jeremias kennengelernt. Weil wir beide etwas anfangen wollten, habe ich von meiner Idee erzählt und wir haben uns entschieden, da gemeinsam was zu entwickeln. Wir haben dann erst eine GbR gegründet, dann eine GmbH und Finanzierungsmittel eingesammelt.
Jeremias Polster: Ein ganz wichtiger Schritt war auch, dass wir im Januar 2019 das erste Patent angemeldet haben. Dafür haben wir eine sehr umfangreiche Patentrecherche machen lassen. Dadurch haben wir festgestellt, dass es so wie wir es machen, keiner bisher umsetzt. Es gibt viele zentrale Wärmetauscher, bei denen man die Energie direkt nutzen muss, aber eine Speicherlösung, wie wir sie anbieten, ist bisher einmalig. Das war auch noch ein ausschlaggebender Punkt für die Entscheidung, dass wir es versuchen wollten.
Wie wichtig war die Beteiligung der bm|t für Sie?
Jeremias Polster: Die Beteiligung war entscheidend für uns. Ohne sie gäbe es uns nicht. Da es ein Hardware-Thema ist, hatten wir enorm hohe Forschungs- sowie Entwicklungskosten und wir brauchten Mitarbeiter und den Platz.
Sie haben sich in Weimar niedergelassen. Möchten Sie perspektivisch woanders hin?
Jeremias Polster: Unser Geschäftssitz ist im Löbdergraben in Jena. Gemeinsam mit der Zweigstelle in Weimar haben wir zwei sehr gute Standorte. Im besten Fall bleiben wir hier, weil auch im Nachbargebäude viel Fläche frei ist, die wir gebrauchen könnten. Da muss aber so viel investiert werden, dass man da erst mal über die Konditionen sprechen müsste, damit man auch Sicherheiten hat. Aber wir möchten auf jeden Fall in Jena und Weimar bleiben.
Wie sind Ihre Zukunftspläne für die Firma?
Felix Konstantin Drechsel: Das Projekt in Stadtroda läuft bis 2023. Hier kommt in den nächsten Wochen die erste Abwasserweiche an einen Teststrang, wo zeitnah dann auch der erste Wärmetauscher integriert wird. Nach einigen Testreihen werden dann alle Abwasserweichen und Wärmetauscher in den Folgemonaten installiert.
In der Gründungsphase traf uns die Corona-Pandemie nicht allzu schlimm. Aktuell erleben wir die größere Krise. Man merkt es immens an den Lieferzeiten, die sind explodiert, haben sich verdreifacht, und die Preise haben sich sogar vervierfacht. Bisher haben wir eigentlich alles immer bei Dienstleistern fräsen lassen. Das ist jetzt aber nicht mehr wirtschaftlich. Wenn wir das weiterhin fräsen lassen, würde sich der Preis für die Abwasserweiche auch vervierfachen. Das wäre ein No-Go. Deswegen machen wir das jetzt mit additiver Fertigung im Haus selber, also als 3D-Druck. Der Einsatz eines solchen Druckers spart Zeit, Fertigungskosten und Nerven. Das sind so unsere Herausforderungen, vor denen wir zurzeit stehen. Wahrscheinlich wird es auch nicht einfacher, wenn demnächst der Gashahn zugedreht wird.
Jeremias Polster: Wir sind jetzt schon seit Längerem mit verschiedenen größeren Firmen im Gespräch, weil wir natürlich auch in die Serienproduktion gehen möchten. Der Plan ist, dass wir im nächsten Jahr die Produktion vorbereiten. Jedes unserer sechs Patente ist auch international im Patentprozess, weil wir auf jeden Fall auch den internationalen Markt bedienen wollen. Wir haben auch Anfragen zum Beispiel aus Ungarn und Polen.
Vielen Dank für das Gespräch!